13.1.98

 

Zeitgenössische Vokalmusik im Geiste des Pansori

Die Stuttgarter Sängerin Stephanie Haas heute zu Gast bei der Unerhörten Musik

 

»Pansori« ist der Titel des Konzerts, das die Stuttgarter Sopranistin und Perkussionistin Stephanie Haas heute abend in der Reihe »Unerhörte Musik« im BKA gibt. Hinter diesem Begriff verbirgt sich die traditionelle koreanische musikalische Vortragskunst, bei der eine Sängerin nur von einer Trommel begleitet wie von streitenden Seelen besessen Bosheit, Liebe, Trauer und Vulgarität zu extremem Ausdruck treibt. Wer sich nur einmal von den aus rauher Kehle hervorbrechenden Attacken hat mitreißen lassen, wird sich fragen, ob unsere Musikkultur keine ebenso wirkungsvolle Darstellungsform kennt. Viel zu unnahbar ist das Kunstlied, zu klein an Format das Chanson. Dabei bestehen in Tonbildung und Affektreichtum viele Überein­stimmungen zwischen Pansori und dem Gesang in der Neuen Musik.

Die wie ein Blitz in sie eingeschlagene Erkenntnis dieser »über­raschenden Seelenverwand­schaft« und den entscheidenden Sprung bei der Entwicklung ihrer Interpretationskunst verdankt Stephanie Haas der Begegnung mit der koreanischen, in Deutschland lebenden Komponistin Younghi Pagh-Paan, deren Stück »Flammenzeichen« auf biblische Texte und Fragmente aus Flugblättern der Weißen Rose einige Stilmittel des Pansori aufweist. Angeregt von den Regeln dieser fremden Kunst, konnte sie nun ein enormes vorher brach­liegendes Aus­druckspotential freisetzen und die in der Neuen Musik oft störende Distanz zum Hörer aufheben. Werke, die sich oft nur als komplizierteste Stimm­akrobatik präsentierten, gewinnen in ihren dabei absolut werktreuen Interpretationen im Geist des Pansori ganz ungewohnte emotionale Konkretheit und Natürlichkeit.

Neben Younghi Pagh-Paans »Flammenzeichen« wird Stephanie Haas im BKA Werke für Gesang (teilweise mit Schlagwerk) von Tomas Luzian, Sofia Gubaidulina, Milko Kelemen, Adriana Hölzsky und Violeta Dinescu vorstellen. Echte Koreaner werden freilich vergeblich auf heimatliche Klänge hoffen. Der Abend wird aber zeigen, daß die Avantgarde keine abstrakte abgehobene Kunst ist, wenn ideale Interpreten den seelischen Gehalt jeder Note zu ergründen und mitzuteilen wissen.

Matthias R. Entreß

 

Heute, 13.1.98 um 20.30 Uhr

Ort: BKA, Mehringdamm 34 in Kreuzberg

Tel.:2510112