Sommer 1998

MUSIK AUS DEM IMPROVISATIONSLABOR

- Das Tony Oxley Trio im Podewil -

 

Wegen zu erwartenden Wind und Wet­ters floh das Samstags-Hofkonzert in den Saal des Podewil - sehr zum Nut­zen der Kunst, denn die Musik des britischen Tony Oxley Trios hätte sich kaum mit Gläser­klirr­en, Qualm und Geselligkeit vertragen.

Für den Schlagzeuger Tony Oxley, der kürzlich seinen 60. Geburtstag feierte, ist Improvisation längst nicht mehr Experiment, sondern Ar­beit am Erfahrungsschatz. Er, der in praktisch allen Jazz-Situationen zwi­­­schen Swing und Avantgarde zuhau­se war und auch in der deutschen Free-Jazz-Szene ein gerngesehener Gast ist, entfaltete sein volles Talent mit zwei Musikern der näch­sten Generation. Matt Wand, bekannt aus dem Sample-Projekt "Stock, Hau­sen & Walk­man" und der schwarze Kom­ponist und Pianist Pat Thomas hatten ihre Elek­tro­nik-Labors auf Tischen ausge­brei­tet und ließen kon­kretes und syn­the­tisches Klangmate­rial mit jener un­ge­bun­denen Gesch­mei­digkeit blubbern, zischen und krachen, die für die englische Freie Musik so typisch ist.

Nicht die Klänge als solche, ver­än­derte Zitate aus der Welt der Au­diomedien, sind neu, sondern ihre Ver­­­füg­­bar­keit. Der Begriff Live-Elek­­tro­nik er­fährt erst jetzt, von Wand und Tho­mas mithilfe von Key­board-Samp­lern, Kassetten- und CD-Lauf­wer­ken frei und reich ein­ge­setzt, sei­ne Bedeutung als voll­gül­tiges Mu­sikin­strument. Musik- und Sprach­fet­zen wer­den Material für Musik, die sich mit dem Schlagzeug Oxleys ver­bindet. Aber Oxley spielt nicht Rhyth­men oder Pulse, son­dern eben­falls Klang; den Trom­meln und Becken sind Glocken ver­schiedenster Art bei­gesellt. Frei­lich gab Pat Tho­mas am Flügel noch eine zweite aku­sti­sche Stimme dazu - ein schönes Solo machte seine klas­si­sche Aus­bil­dung hörbar - und ge­stattete sich und Ox­ley, begleitet von Matt Wands elek­tronischem Heulen und Zähne­klap­pern, einige klei­ne Exzesse über­trieben wild­gewordenen Free Jazz', aber auch Tho­­mas griff lieber in die Mechanik als in die Tasten.

Erstaunlich, welch kom­plexe Ver­läufe vorwiegend aus Geräu­schen ent­stehen können, wenn ihre Er­zeuger mit der hier vorgeführten Selbstver­ständ­­lich­keit und Unab­hän­gigkeit agieren!

Matthias R.Entreß