PAUL MOTIAN TRIO

- Swing im Hinterkopf -

 

Seit 40 Jahren trommelt Paul Motian bei der ersten Garnitur des modernen Jazz und Scharen junger Talente haben durch seine Unterstützung den Sprung in die Elite geschafft. Seine Leistung als musikalischer Anreger ist jedoch nicht so leicht zu würdigen, denn eine Stilrichtung ist es nicht, die er geprägt hat. Wohl aber eine musikalische Haltung, die sich aller errungenen Formen und Freiheiten annimmt, sich aber niemals von ihnen ideologisch oder emotional verein­nahmen läßt.

Im Trio mit dem Tenorsaxophonisten Joe Lovano und dem Gitarristen Bill Frisell, mit dem der 67jährige Schlag­zeuger am Donnerstag im brechend vollen Quasimodo kurz gastierte, gibt es keine dienenden oder führenden Rollen. Motian umspielt, oft nur mit dem leisen Besen, den Rhythmus, kehrt ihn um, arbeitet ihm entgegen, synkopiert, wirft Triolen und Quintu­o­len in den Vierertakt und schafft so ein feinsinnig artikuliertes Pendant zu den melodischen und harmonischen Möglichkeiten der anderen Instrumen­te. Lovano und Frisell geraten dabei nie aus dem Takt, sondern antwor­ten als soveräne Herrscher ihrer eigenen musi­ka­lischen Reiche. Dabei entfernen auch sie sich mitunter sehr weit vom nur gedachten Zentrum und schwingen dann zurück in die vor Spannung kni­sternden Kraftfelder der anderen.

Bill Frisell läßt vergessen, daß dieses Trio weder Klavier noch Baß besitzt und ersetzt mit seinem farbi­gen und weitgreifenden Gitarrenspiel beides.

Der mehrfach als Jazzmusiker des Jahres ausgezeichnete Joe Lovano ist die Personifizierung von Konzen­tra­tion. In seiner rationalisierten Jazzrhetorik erscheint selbst die ausgebremste Emotionalität als durch­dachtes Stilzitat.

Dieses Trio zelebriert Jazz als ernste Musik, äußerlich nüchtern, innerlich jedoch erhitzt von intel­lektueller Anspan­nung, die sich der Bedeutung jeder Phrase, jeder Note voll bewußt ist, sich aber in keinem Moment zu ekstatischen Ausschweifungen hinreißen läßt. In die auf das Gerüst reduzierten Kon­ven­tio­nen des Jazz werden Musizier­formen als Nach­klang eingehängt. Balladenton, Blues, Rockrhythmen, Coltranes hymnischer Free Jazz klin­gen an, aber real ist nur die alles Vergangene beherr­schen­de Gegenwart. Daß dies auch durchaus witzig sein kann, zeigten die intellektuellen Späße, zu denen Thelonious Monks "Misterioso" die drei anregte, die die staksige Melodie durch alle möglichen Jazz- und Pop­ver­sionen trieben, von zickiger Bums­musik über Country­music, Rhythm and Blues, Hardrock, Free Jazz, bis sie ganz zer­schnip­selt am Boden lag.

Dieses Konzert bot Kammerjazz vom Feinsten in höchstentwickelter Spielkultur.

Matthias R.Entreß