Frühjahr 1998

NILS PETTER MOLVAER

- Der norwegische Neutöner im Quasimodo

 

Der norwegische Trompeter Nils Petter Molvaer steht im Ruf ungeheurer Vielseitigkeit - er hat sich erfolgreich in den verschiedensten musikalischen Formen zwischen Neuer Musik und Rock ausgedrückt und wird als der Musiker gehandelt, der das allzu einseitige Bild vom trauerumflorten norwegischen Jazz zu revidieren imstande ist. Sein jüngst bei ECM erschienenes Album "Khmer" mit seinem prächtig schillernden Kontinuum sich kreuzender Rhythmen und von Zauberhand gelenkten großindustriellen Klängen bestätigt das: Seine Musik versetzt einen in ein schwermetallenes Science-Fiction-Norwegen, in das sich mit getragenen Kantilenen Molvaers sanfte Trompete einbettet oder aus dem sie sich mit harten Einwürfen hinausschleudert.

Eine mächtige Rhythmusmaschine aus zwei Schlagzeugern, Gitarre, einem Baß, der einem die Gedärme vibrieren ließ und den Studiosounds beisteuernden Discjockey Strangefruit hatte Molvaer auf die kleine Bühne des Quasimodo hieven lassen, um das "Khmer"-Material nun auch live vorzustellen. Auf der Platte schafft sich die Musik ihren eigenen Raum, hier hatte sie sich jedoch gegen die Enge eines verräucherten Jazzclubs durchzusetzen. Das gelang jedoch nur in den am sorgfältigsten ausgearbeiteten Arrangements, vor allem in dem auf fernöstliche Klänge und lebhaft wechselnde ungerade Rhythmen zurückgreifenden Titelstück der CD. Der schöne und offenbar auch ohne Elektronik variable Trompetenton Molvaers hatte eine weite Strecke durch diverse Sequenzer und das Wah-Wah-Pedal zu durchlaufen, bis es ans Ohr des Zuhörers gelangte. Doch diese Musik ist nur in geringem Maße der freien Improvisation zugänglich und unterscheidet sich in diesem Punkt erheblich von dem als wichtiger Einfluß genannten Miles Davis der elektrischen Phase seit 1970. So nutzten die beiden Schlagzeuger über weite Strecken nicht die interessanten Möglichkeiten polyrhythmischer Gestaltung (für die mittels Überlagerung im Studio ein Schlagzeuger genügte) und auch Molvaer, der trotz leichten Ansatzes kein virtuoser Schnellspieler ist, rutschte gelegentlich in den Tonleiter-Automatismus eines längst abgetanen Hardbop-Stils. Nach nur siebzig Minuten ließen sich Molvaer und seine Mannen nur mühsam zu zwei Zugaben bewegen, dann hieß es "Good night". Eine etwas enttäuschende Vorstellung des zu mehr fähigen Multitalents.

Matthias R.Entreß