1998

DURCH DAS OHR DER TRADITION: KOREAS NEUE MUSIK IM HdKW

 

In seinem berühmten Orchester­stück Reak (1966) hatte Isang Yun die Verlaufsformen der uralten kon­fuzianischen Hofmusik Koreas auf die schillernde Klanglichkeit des modernen westlichen Sinfonie­or­chesters angewendet und damit das Spannungsfeld "koreanischen" Komponierens abgesteckt: Östliches Ritual gegen westliche Konzert­kunst. Daß dies heute nur noch bedingt Gültigkeit besitzt, zeigte der Sonntag im HdKW, wo in Mati­nee und Kammerkonzert ein kurzer aber scharfer Blick auf die zeit­genössische koreanische Musik gewor­fen wurde.

Mit einer starken Verlangsamung der Zeit tauchte zu Beginn Sngkn Kims "Musik für vier Instrumente" in die rauhe Klanglichkeit der alten Instrumente Tanso, Taegum (Längs- und Querflöten) und der 12-sai­ti­gen Kayagum ein, die von unserer Querflöte ergänzt wurde. Das tradi­tio­nelle Prinzip der "varianten He­te­rophonie", d.h. zeitlich unregel­mäßig versetzter ähnlicher Verläufe, wie sie das Zusammenspiel der In­stru­mente in der Hofmusik be­stimmt, schwenkte hinüber in lang­ge­haltene Harmonien von vieldeu­tigem Reiz. Youngeun Paiks "Chin-Hon" von '96 ist eine expressive musikalische Nacherzählung jenes Teils der schamanistischen Toten­zeremonie, in dem die Seele ihre endgültige Loslösung von der Welt erfährt. Frau Paik zwingt der Quer­flöte Taegum und dem 22-Saiten-Ka­ya­gum durch heftige Artikulation und Einführung von Dissonanzen in die gewöhnlich einstimmige Spiel­wei­se einen fast schreckener­re­gen­den Ausdruck auf. Bonu Koos "nah/ fern" ('98) setzt der Zither Kaya­gum das Streichtrio gegenüber, kämpft aber deren koreanisches Idi­om nieder, um fern aller ethno­graphischen Schubladen eine Musik der Menschen, eine "Musik dieser Welt", so Koo, zu machen, in diesem Fall eine Auslotung der expressiven Möglichkeiten der Klangmischung.

Während Younghi Pagh-Paans und Isang Yuns Quartette für Flöte, bzw. Oboe mit Streichtrio Korea stets im Hinterkopf haben, dem euro­päischen Konzertleben aber durch Verzicht auf das heimatliche Instrumentarium entgegenkommen, sind Unsuk Chins haarsträubend vir­tuose Klavieretüden (am Klavier: Hiroaki Ooi) ganz staatenlos. Die faszinierend fremde Perspektive auf die Welt der Neuen Musik, wie sie hier das "Joint Venture" des Isang Yun Ensembles mit dem Seouler Contemporary Music Ensemble bot, sollte, so HdKW-Leiter H.G.Knopp nach dem Konzert, weitere Konzerte dieser Art nach sich ziehen.

 

Matthias R.Entreß