DER HÄRETIKER GEGEN DIE HEDONISTEN
- "Theater am Ende" spielt an geweihter Stätte -
Vor 500 Jahren starb der Bußprediger und Dominikanermönch Girolamo Savonarola als Häretiker auf dem Scheiterhaufen. Den unversöhnlichen Gegensatz zwischen dem asketischen Endzeitpropheten und dem in Saus und Braus lebenden Papst Alexander VI., Vater von Lucrezia Borgia, nahm das "Theater am Ende" als Ausgangspunkt für einen aus heutiger Distanz paraphrasierenden Bilderreigen mit dem Titel "fanum". Dabei geht es nicht um die historischen Vorgänge, sondern um zweierlei: Um die genauere Betrachtung dessen, was sich nach außen allzu eindeutig als Extrem darstellt und um moralische und geistige Auflösungserscheinungen unserer Gegenwart.
Dafür hat sich die Theatergruppe unter der Leitung des Regisseurs Manfred Olek Witt ein Konzept erarbeitet, das Spieler und Publikum in einem Raum zusammenschmilzt [und es in die sittliche Fragestellung tiefer hineinzieht, als ein Schauspiel das gemeinhin tut]. So wird den Besuchern zur Begrüßung eine würdevolle Fußwaschung, Zeichen wahrer Gastfreundschaft zuteil, bevor sie den der Gottheit geweihten Ort (was "fanum" heißt) betreten. Doch welchen Göttern, fragt das textlose Stück, ist er denn geweiht? Die Parochialkirche steht weltlichen Ausstellungen, Konzerten und Theaterveranstaltungen zur Verfügung, die Georgenkirche in Halle, wo "fanum" Ende August uraufgeführt wurde, lädt gar zu Technoparties ein. Aber die Zuschauer haben es in den Liegestühlen im Altarraum durchaus bequem. Mönche in rotweißem Mini mit Strapsen tragen eine schwüle Stimmung in den Raum, doch vergnügen sie sich ganz harmlos beim Hüpfenspiel mit Lucrezia. Auch der Papst in seiner Leibesfülle ist nicht bloß ein Lustmonster, sondern singt mit echtem Gefühl Gershwins "Summertime". Vergnügungssüchtiger Körperkult oder Lebensfreude? Was ist es eigentlich, was den Asketen Savonarola dazu bringt, roten Rosen die Blüten abzuhacken? Als direkte Gegenteile sind der Papst und sein Antipode einander ähnlicher, als sie es ertragen können.
Die geschickte Lichtregie zieht den Blick immer wieder in die erhabene Weite des Kirchenraums, moderne Versatzstücke, TV, E-Gitarre, Strobolight und Technolärm lenken ihn zurück aufs Heute.
Die harten Gegensätze zeigen eine Gesellschaft im Zustand der Finsternis. In den genau beschriebenen Ambivalenzen jedoch brütet schon der Keim eines kommenden Zeitalters der Aufklärung. Und so kann Theater am Ende wieder zu dem werden, was die Kirche sein sollte: eine moralische Anstalt.
Matthias R.Entreß
Parochialkirche, Klosterstr.67. Noch bis 13.9. jew. 21 Uhr. Kartentel.: 781 55 93