Dezember 1997

ARMER HUND KAFKA

Kafkas forschender Hund bittet zu Tisch

 

Den Tafelfreuden voraus geht die Ansprache des Gastgebers. Ein armer Hund, ein Bruder Beckett­scher Gestalten, nach­denk­lich und lächerlich, hat Fremde, Freun­de, uns, die Zuschauer, zu Tisch in seine molligwarme Abseite aus beuy­sisch grauen Filz unter der Autobahn beim Rathaus Steglitz (wir berichteten) geladen und gibt seinen Blick auf die Welt und sein Leben frei. Dieser »Hund« hatte sich von der Hunde­schaft entfernt, um sie denkend und forschend zu ergrün­den: Es war ein frühes Kunst­erleb­nis, würdelos und dennoch faszinie­rend, das ihn vom gewöhn­lichen Weg abgelenkt und letztlich dazu getrieben hatte, sein Leben der Erforschung der Frage zu widmen, woher die Erde die Nahrung nimmt. Als Schlüssel dazu hatte ihm lange der katego­rische Imperativ der Hunde gegolten, der lautet: »Mache alles naß, soviel du kannst.«

Rasch wird auch dem, der Kafkas Erzählung nicht kennt, klar, daß hier die Hundeperspektive, die aus einem Gemenge irrtümlicher Beobachtungen und verrückten Fehlschlüssen besteht, auf den Menschen rückübertragen wird - eine ätzende Kritik an der menschlichen Urteilskraft.

Die Inszenierung von Christian Barthelmes macht sich nicht anheischig, die Rätsel des Textes zu entschlüsseln oder gar zu bebildern. Es gibt keine Musik- und auch keine Flughunde zu sehen. Die Bühne von Harry Behlau spiegelt den Ernst und die Askese des philosophischen Hundelebens: eine Reihe Granat­äpfel, die Früchte vom Baum der Erkenntnis, ein Wecker als Symbol der verflossenen Lebens­zeit und Fleischerhaken als der unverstandene Hinweis auf die wahre Herkunft der täglichen Hundenahrung.

Der größte Teil des auf erträg­liche 80 Minuten gekürzten Texts lastet auf dem mit Bühnenar­ran­ge­ments von Werken Kafkas her­vor­­ragend ver­trau­ten Bernd Ludwig, der auf donnerndes Sich-Aufspie­len verzichtet und den Forscher­geist in den nachsin­nenden Tonfall einfließen läßt. Ein kleiner Geniestreich ist die Einführung der in Kafkas Text nicht angedeuteten Gefährtin, im Programm »Dora« genannt, nach Dora Diamant, Kafkas Verlobter. Eva-Maria Straka bringt mit ernster Anmut dem abgewetzten und nur seinen ergebnislosen Forschungen hin­gegebenen »Hund« in wenigen sorgfältig ausge­suchten Sätzen ein liebevolles, seine der Hun­de­schaft verborgene Bedeu­tung erkennendes Verständ­nis entge­gen, das wohl Kafkas eigenem Glück mit seiner Dora nachemp­funden ist. Und sie ist es, die die stille dramatische Wendung in die Aufführung bringt, wenn sie wie in einer Vision dem »Forscher« die Erkennt­nis vom Wesen des Gesangs der Hunde vermittelt.

Zum Schluß gibts noch was zu essen - bei der Premiere Gulasch aus der Kanone und Rotwein, das versöhnt dann doch mit den nicht gerade bequemen Bänken und bringt den Abend zu einem angenehmen Ende.

Matthias R.Entreß

 

»eins« spielt im Treppenhaus 129, Albrechtstr.129 in Steglitz im Dezember am 24. und täglich außer am 25.12. und im Januar am 2./3., 8.-10., 16./17., 22.-24., 29.-31. jew. um 20.30 Uhr