Sommer 1998

HARTE GEGENSÄTZE - HARTER JAZZ

im Hofkonzert im Podewil

 

Dietmar Diesner und Peter Hollin­ger, die eine Hälfte von "Slawter­haus", zeigten sich am Samstagabend im Podewil unter dem Namen "Die Berlintouri­sten" doch als komplexes und vielgestaltiges Ganzes. Peter Hollinger ist an seinem minimal ausgestatteten Schlagzeug, das nur auf der CD wie ein Heavy-Metal-Kampfpanzer klingt, eine unerschöpf­liche Rhyth­mus­maschine. Während Saxopho­nist Diesner durch alle Ener­gie­zustände, die der Jazz zwi­schen Ge­räusch und Elegie bereit­hält, wech­­selt, oft auch unter Verwendung eines elektro­nischen Klangver­viel­fältigers, arti­kuliert sich Hollin­ger fast aus­schließ­lich mit Rhyth­men, Rock­rhyth­men. Doch er ist nicht weniger frei als Diesner, der sich vom donnernden Kriegsgeschehen nicht beeindrucken läßt. In die Haupt­rhyth­­­men fügen sich Gruppen von Neben- und Gegen­schlä­gen, und auf je­den Einfall Dies­ners wird mit neuen Zeitmaßen statt mit gleitenden Schwer­­­punkt­verlagerungen und Steige­rungen reagiert.

Nach der Pause: Das Trio von Alan Silva, dem Zeugen und Komplizen des Free Jazz der frühen 60-er, der als Bassist vermutlich weiter als alle anderen seiner Zeit den Baß von seiner Funktion als harmonische Grundlage befreite - er hat, für Puristen ein Greuel, das Instrument gewechselt und bedient sich jetzt eines multifunktionalen elektroni­schen Tasteninstruments, das er als Klavier ebenso wie als Streich­or­chester, Marimba oder sinfonische Pauker usw. registrieren kann. Silva verwandelt diese gewaltige Skala von Klangqualitäten zum Ausdruck musi­kalischer Affekte, was im Jazz bei­spiellos ist. Doch muß man Silvas berühmtes Donnertosen mit anschlie­ßenden Sturz­bächen von quietschenden Fla­geoletts nicht eigentlich vermis­sen, er spielt sein U-20 im selben Geiste wie den Kontrabaß: perkussiv. Der Klangmachtfülle Silvas setzen DDR-Avantgarde-Posaunist Johannes Bauer und der aus der englischen frei­en Szene stammende Schlagzeuger Roger Turner ihre Perspektiven auf die Free-Jazz-Tradition entgegen, und das ergibt ein überraschend dich­tes Geflecht von rascher nervö­ser Interaktion. Großes Einver­ständ­nis zwischen dem modernisierten Alt­mei­ster und den traditionsbewußten (etwas) Jüngeren.

Matthias R.Entreß