Sommer 98

FREE JAZZ SWING OHNE RECHTEN SCHWUNG MIT BILLY BANG

 

Der Jazzgeiger Billy Bang, eine der in Berlin ansässigen Juwelen des internationalen Kulturlebens, spielt sein Instrument mit rauhem Bogen. Sein Ton ist klar und hart und läßt den der Geige angeborenen süßlichen Schmelz und die zigeunernde Lustigkeit vergessen, in die Streicher im Jazz oft verfallen. Billy Bang ist ein Bluesmann reinsten Wassers und Intellektueller gleichzeitig, dessen Modernität fest in allen Entwicklungsstufen des Jazz fundamentiert ist.

Beim Hofkonzert im Schmiedehof der Kreuzberger Schultheiss-Brauerei stellte Bang im schwarzen Anzug mit roter Fliege und weißer Geige sein Berliner Quintett vor, dem, vom Schlagzeug abgesehen nur Saiteninstrumente, Gitarre, Cello und Kontrabaß, angehörten. Der herbstlich-kühle Wind war der einzige Bläser im Konzert, blies die Noten von Bangs Pult, machte frösteln und ließ auch die Spieler nicht recht warm miteinander werden. Während Bangs frühere "String-Projects" auf melodischer und rhythmischer Gleichberechtigung von Gitarre und Streichern basierten, wurde hier, durch die Wahl vorwiegend schwerfälliger Blueskompositionen und auch durch das wenig zurückhaltende Spiel von Drummer Ernst Bier eine allzustrikte Trennung zwischen Rhythmusgruppe und Solisten aufgebaut. Wenigstens in einigen Soli konnten sich der offenbar eher in der Klassik beheimatete Cellist Jens Naumilkat und der in der amerikanischen Jazzschmiede Nr.1, dem Berklee College of Music, ausgebildete Frank Möbus ausspielen. Naumilkat machte dabei unwillentlich die kulturelle Diskrepanz zwischen Jazz und Europa deutlich: Sobald er sich von seinem nach Kaffeehaus klingenden Swing freimachte, öffnete sich die Schatzkiste klassischer Melodiebildung im Stil von Brahms bis frühem Schönberg. Wunderbar in diesem Sinne das lyrische "Sweet Arini", das ohne das aufdringliche Rock-Ostinato der ersten Stücke auskam und einen schönen durchgehenden Dialog zwischen Cello und Geige bot. Die Synthese aller Spielweisen Bangs und seiner deutschen Mitspieler, alle irgendwie Erben der Romantik, gelang erst in der abschließenden Suite, in der unter weitgehendem Verzicht aufs Schlagzeug, die Saitenspieler einander aufmerksam lauschten und umspielten.

 

 

Matthias R.Entreß