Mai 1998

BLIXA BARGELD, DER EXTRADISZIPLINÄRE - Schlaufen, Schleifen und Knoten in der Contemporary Fine Arts Galerie

 

Ein sonderbarer junger Faust sitzt in seinem Laboratorium und fummelt sich und seine Geistes­blit­ze in die elektronischen Apparatu­ren neuzeitlicher Alchimie hinein. Sein Name ist Blixa Bargeld, er ist ein Popstar und die Leute wagen vor Ehrfurcht kaum, zu ihm hinzu­schauen, er ist ein Künstler, doch sein Werk können sie nicht sehen.

Blixa Bargeld, standfester Pfeiler der "Einstürzenden Neubauten", rauh­­kehliger Schubertsänger, Photo­graph, hotelbewohnender Fahrens­mann, Filmschauspieler, Theater­macher, hat sich eine temporäre CD-Brennerei in der Contemporary Fine Arts Galerie eingerichtet. Zwei Wochen lang will er sich mit dem beschäftigen, was die Zeit ihm zuträgt.

Das Hi-tec-Arrangement, das Blixa auch als Destillations­anstalt verstanden wissen will, führt die Kondensationsnebel seines unsteten Geistes per Mikrophon in eine digi­tale Echokammer, die den Augen­blick der Erkenntnis verweilen läßt und sich mit seinen von den Laut­sprechern wiedergegebenen Spiege­lun­gen immer weiter auflädt, bis Blixa mit einem neuen Element, ei­nem Satz, einem Ton, einem Ge­räusch das Kontinuum verändert. Die Klangkreise, deren Umfang Sekunden bis Minuten betragen kann, verwandeln sich durch die fort­schreitende Zeit zu als Schraube sich fortpflanzenden Windungen, die als Datenspiralen in nur jeweils ein­­mal vorhandene und nicht ko­pier­bare CDs gebrannt werden.

Au­ßer den in weiten Schwüngen von der Decke hängenden Kabeln, den Gerä­ten und dem philosophi­schen Anarchisten selbst, sowie der anwachsenden Sammlung von CDs ist in der Galerie nichts zu sehen. Nur die Vorstellung des Klangs ist bildlich, die Vorstellung des Geistes akustisch. Für Bargeld ergibt sich aus den Spira­len, z.B. der Doppel­he­lix allen ge­ne­tischen Materials, der Dualität von Unendlichkeit und Wiederkehr eine treffende Metapher für die Welt und alles, was exi­stiert. Das in der Galerie aus­ge­stell­te Werk ist der Prozeß selbst, de­swegen seien die Leser herzlich ermutigt, tgl. 16-19 Uhr außer Sonn- und Feiertags den Vorgängen beizuwohnen. Das bei der Eröffnung mehr zum Zwecke der technischen Demonstration entstandene Stück Klang­zeit ähnelte frappierend den sich wahnsinnig türmenden Lärm­re­pe­titionen der Einstürzenden Neu­bau­ten, doch werden auch ganz ande­re, stillere Destillate gebrannt werden.

Interdisziplinär ist das Programm der Galerie, doch trifft dieses Wort auf Bargelds Kunst nicht wirklich zu. So sind die CDs mit DM 500 pro Stück wohl teuer für den Musik­freund aber (noch) fast zu billig für den Sammler von Kunstwerken.

Tatsächlich ist er, der "Geniale Di­let­tant" (nach dem Titel eines '82 erschienen Buches, zu dem er bei­ge­tragen hat), immer auf der Suche nach den Plätzen zwischen den Stüh­­len, versteht seine Photoserien nicht als Bilder, seine Schriften wohl auch nicht als Literatur. "Extra­disziplinär" zu sein, sichert ihm, der sich allenfalls als Anhän­ger oder Nachfolger der Fluxus­be­we­gung sieht, die Freiheit zum Experimentieren und immer neuem Erleben. Deswegen: Rechtzeitig hingehen!

Matthias R.Entreß

 

Contemporary Fine Arts, Sophienstr.21, Berlin-Mitte, tgl. außer Sonntags und Himmelfahrt 16-19 Uhr. Eintritt frei. Tel.: 283 65 80