EIN NEUES LIED ÜBER DIE CHRISTLICHE VERANTWORTUNG

- Tom Johnsons Bonhoeffer-Oratorium. Gespräch mit dem Komponisten

 

Am 18.November, dem ehemaligen Buß- und Bettag, erlebt das "Bonhoeffer-Oratorium" des amerikanischen Komponisten Tom Johnson in der Philharmonie seine deutsche Erstaufführung mit dem DSO unter Claus Peter Flor. Der 1939 in Colorado geborene Johnson hat u.a. bei Morton Feldman studiert und gilt als einer der wichtigsten Exponenten und Theoretiker der Minimal-Music. Er war 1983 DAAD-Stipendiat und lebt seit 15 Jahren in Paris. Das Bonhoeffer-Oratorium, an dem er von 1988-92 arbeitete, ist sein opus magnum. Die Schriften des von den Nazis ermordeten Theologen Dietrich Bonhoeffer (1906-45), aus denen er den Text des vierteiligen Oratoriums exzerpiert hat und anhand derer er dessen Lebensstationen nachzeichnet, lernte Johnson '86 während eines Berlin-Aufenthalts kennen:

Johnson: Am 4.Februar 1986, dem Tag, an dem Bonhoeffer 80 Jahre alt geworden wäre, redete Otto Dudzus, ein ehemaliger Schüler von ihm, über die illegalen Seminare, die Bonhoeffer in den 30er Jahren gegeben hatte. Ich wußte fast nichts über ihn, aber die Geschichte interessierte mich, kaufte mir einige Bücher und fing an zu lesen. Das war sehr wichtig für mich. Zuerst als Christ, später als Komponist. Bonhoeffer war in diesen Zeiten das deutsche Gewissen, aber Otto Dudzus sagte, Bonhoeffer sei das Gewissen unseres Säkulorums, nicht nur der Deutschen, sondern unserer ganzen Zeit.

- Ihre Musik ist sehr kalkuliert, sehr konzeptuell...

J: Ah, ja, ich habe immer gesagt, ich bin ein Minimalist. Philip Glass und Steve Reich schreiben keine minimale Musik mehr, sie sind viel freier. Ich habe immer mit ein paar Tönen, einer Idee, einer Schleife, mit sehr einfachem Material gearbeitet. Mit verschiedenem Material auf verschiedenen Stufen gleichzeitig zu arbeiten, das verstehe ich nicht. Ich will klar sein. Habakuk Traber schreibt in seinem Programmheftartikel, daß mein Minimalismus sehr gut zu Bonhoeffer paßt, weil er die Texte einfach hervortreten läßt.

- Ihre Musik wirkt außerordentlich lebendig und geistreich, das Bonhoeffer-Oratorium ist aber sehr ernst. Inwieweit ändert sich da Ihre Musik?

J: Ich konnte Bonhoeffer nicht allein mit Mathematik begegnen. Und im zweiten Teil ist die einzige Musik seit vielen Jahren, wo ich alle zwölf Töne benutze; es ist nicht atonal, aber es ist sehr dissonant. Der Text über die "Judenfrage" ist so sarkastisch und so wütend, der mußte geschrien werden und sehr dissonant sein.

 

- Die Musik spiegelt auch etwas von Bonhoeffers Weltsicht wider.

J: Er war in einer sehr reichen Familie aufgewachsen. Aber sein Denken war gar nicht konservativ. Er hatte eine Menschenliebe und ein Interesse für geistliche Schwarze Musik, für Spirituals, das war neu in Europa. Die Saxophone im Orchester klingen etwas nach Jazz, eine Musik aus dem Volk.

- Das Stück erfährt hier in Berlin jetzt eine große Aufmerksamkeit, es gibt fast keine Karten mehr. Landesbischof Huber wird als Sprecher teilnehmen, die Kultur-Stiftung der Deutschen Bank hat sich sehr für die Aufführung stark gemacht, ja, sie erst durchgesetzt...

J: Mich überraschte das etwas. Ich mußte vier Jahre an der Partitur arbeiten und noch vier Jahre auf die Uraufführung in Maastricht mit dem Niederländischen Rundfunk warten! Acht Jahre lang schrieb ich sehr viele Briefe. Niemand hatte jemals in die Partitur geschaut. Alle wußten von vornherein, daß sie kein Interesse an einem Oratorium hatten. Die Stimmung hat sich geändert, in Deutschland und überhaupt. Ein Mitarbeiter der Deutschen Bank war bei der Uraufführung in Maastricht und er war sehr begeistert davon. Er brachte eine Aufnahme mit und die ganze Stiftung hielt das für ein gutes Projekt. Wie kommt das? Bonhoeffer sagt: Der rechte Zeitgeist ist der heilige Geist. Wenn Gott existiert, warum soll der Zeitgeist nicht der heilige Geist sein?

- Die Begleitkonzerte zum Bonhoeffer-Oratorium präsentieren Musik aus einem sehr weiten Umkreis, Musik aus dem Exil, von den im KZ Ermordeten, Neue Musik aus Israel, usw. Vermissen Sie da Ihre eigene Musik?

J: Es ist gut, Werke von Viktor Ullmann und auch von Eisler aus der Zeit Bonhoeffers zu spielen, die man nicht sehr häufig hören kann. Ein bißchen enttäuscht bin ich, daß sie Dieter Schnebel keinen Platz gegeben haben, der die "Dahlemer Messe" und viele andere theologische, protestantische Musik gemacht hat. Schnebel hat mir in vielen Gesprächen über Bonhoeffer Mut gemacht. Ich hoffe, daß die Leute sich erinnern, daß es nicht nur Tom Johnson ist, der neue geistliche Musik schreibt."

Matthias R. Entreß

 

Philharmonie, 18.11., 20 Uhr. Einführung 19 Uhr, Musikinstrumentenmuseum

Begleitprogramm: Neue Musik aus Israel, Otto-Braun-Saal, Potsdamer Str., 17.11. 20 Uhr. Kartentel. f. beide Veranstaltungen: 2029 8711

Kleiner Sendesaal Masurenallee 8-14, 21.11., 18 Uhr: Tom Johnson spielt im Rahmen der Insel Musik seinen "Chord Catalogue" für Klavier.