DER KOMPONISTENDIRIGENT

Johannes Kalitzke dirigiert beim BSO Werke von Lachenmann, Pintscher und Ferrari

 

Mit Schwung wirft sich der Maestro zum Phototermin den schwarzen Schal um den Hals und schmunzelt vergnügt. Ein Hauch von Bohéme und mondäner Eleganz umschwebt ihn. Das Bild eines eifernden Theoretikers der Neuen Musik kann so gar nicht erst aufkommen.

"Der Umgang mit Klassischer Musik ist gar kein so großer Widerspruch zu dem mit Neuer. Wenn man die guten Eigenschaften der traditionellen Musik, Balance und Schönklang, bei der Darstellung Neuer Musik gebraucht, klingt diese gar nicht mehr verkopft und trocken, sondern ganz organisch."

Johannes Kalitzke, 40, Dirigent beim heutigen BSO-Biennale-Konzert im Konzerthaus, muß es wissen. Seine Berufserfahrung umfaßt alle Bereiche der ernsten Musik. Dirigieren und Komponieren sind bei ihm eine untrennbare Verbindung eingegangen. Als Interpret (der übrigens bei allen Biennalen seit der Wende teilnahm) fühlt er sich zwar der Neuen Musik besonders verpflichtet - "Ich bin gerne Geburtshelfer. Diese Verantwortung motiviert mich sehr, mich mit Werken lebender Komponisten zu beschäftigen" - aber am Gelsenkirchener Musiktheater im Revier hat er, zuletzt als Chefdirigent, auch am klassischen Repertoire gearbeitet. Das hat ihm vor allen Dingen einen Sinn für Praxis gebracht.

Daß Neue Musik abweisend sei, sei ein Vorurteil, das noch aus den 50-er Jahren stamme, wo die Komponisten jede Gefälligkeit ausgemerzt hätten. Natürlich gibt es auch heute Stücke, die diesen Vorurteilen zuarbeiteten, mit denen man keine Freunde gewinnen könne. Aber grundsätzlich habe niemand mehr ein Interesse daran, sich gegenüber dem Publikum zu verschließen. Gleichwohl sei es nur der aktiv hörende Teil des Publikums, der sich interessieren lasse. Für den anderen sei Kultur nur ein großes Schaumbad. An Neue Musik als kommerziellen Selbstläufer glaubt der 40-jährige Dirigent nicht. "Neue Musik muß immer gefördert und unterstützt werden. Für etwas, das es noch nicht gibt, kann keine Nachfrage vorausgesetzt werden."

Die Doppelbegabung des komponierenden Interpreten kennzeichnete von Anfang an sein künstlerisches Naturell. Er begann sein Studium, Klavier, Dirigieren, Komposition an der Kölner Musikhochschule bereits mit 17 und letztere zwei Fächer hielten sich stets die Waage. Die enge Verbindung von Komposition und Aufführung waren auch das Ziel des von ihm gegründeten Landesensembles "Musikfabrik Nordrhein-Westfalen", das er seit 1991 leitete und zu einer beispielhaften Werkstatt für Schreiber und Spieler machte.

Beim Dirigieren kommen ihm seine kompositorischen Erfahrungen sehr zugute, denn "die technischen Probleme bei der Umsetzung kennt man aus der eigenen Küche." Umgekehrt inspiriert ihn Musik, die er dirigiert, zu eigenen Werken und zwar umso mehr, je fremder sie ihm sei. Strawinsky z.B., dessen Musik er heiß liebt und gerne dirigiert, kann ihn nicht so sehr anregen wie Minimal-Music oder Gregorianik - die seiner eigenen Arbeit viel ferner sind.

Den Komponisten Kalitzke fasziniert die permanente Präsenz der historischen Vergangenheit. Es sei, sagt er, als spaziere man durch ein virtuelles Glasgebäude, in dem einem alle Epochen gleich nah seien. Seine zweite Oper "Moliere, oder die Henker der Komödianten", die derzeit in Bremen gegeben wird und später nach Lübeck, Gelsenkirchen und Wuppertal gehen soll, sei ein gutes Beispiel für seine Suche nach einem integrativen Modell, das Formen verschiedener Stilepochen vereinigt. Das Ergebnis sei sehr symphonisch. Nach der 5-jährigen Arbeit daran, als Dirigent seit 2 Jahren freischaffend und in Wien ansässig, konzentriert er sich nun auf diverse "kleinere" Projekte, ein Streichquartett für die Ardittis, ein Chorstück für den WDR und ein Orchesterstück.

Das Programm mit dem BSO heute abend ist ganz nach seinem Geschmack. "Keine Gebrauchsanweisungsmusik." Neben Tableau von Helmut Lachenmann und Dunkles Feld des jungen Matthias Pintscher steht als Hauptwerk Luc Ferraris Histoire du plaisir... auf dem Programm. Kalitzke ist begeistert, für dieses sein Leib- und Magenstück mit dem BSO ein so präzises und lebendiges Orchester zur Verfügung zu haben. "Das ist ein offenes, direktes Stück zeitgenössischer Musik, toll instrumentiert, dessen unverstellte Affekte einen emotional packen. Ein positives Beispiel für Musik, die sich nicht aus dem Ghetto definiert."

Matthias R.Entreß

 

Konzerthaus, Berliner Sinfonieorchester, heute, 20 Uhr. Karten an der Abendkasse