25.6.99
SEHEN
LERNEN IN DER HÖRGALERIE
Matthias
Deumlichs Installation "Die spröde Flut" in der Parochialkirche
Wo
gewöhnlich das Ohr eine filigrane Welt aus Klang ertastet, gibt es diesmal
überraschend viel zu sehen. Die "singuhr-hörgalerie" in der
Parochialkirche zeigt "Spröde Flut", eine Installation von Matthias
Deumlich.
Zunächst
erscheint der Weg der Wahrnehmung recht übersichtlich. Eine
physikalisch-akustische Laborinstallation mit Wasser unter Glaskuppeln und
"Aha-Effekt": Eine daumenbreite Wasserschicht über einer Gummiplatte
wird akustisch zum Hochschäumen gebracht. Selbstgebastelte Projektoren werfen
die im Glasinneren herablaufenden Tropfen an die unverputzten Mauern der
unwirtlichen Turmverliese.
Mit
dem Titel bekennt sich der 1962 geborene Matthias Deumlich,
Rebecca-Horn-Schüler und letztjähriger Stipendiat der Akademie der Künste, zu
den Widersprüchen, in die sich sein Werk an diesem Ort verstrickt. Daß Wirkung
und Funktion der selbst zusammengeschusterten Geräte am Zustand der ausgeweideten
Kirche fast ersticken, ist beabsichtigt und entspricht dem Wesen seiner Version
von "arte povera", der Kunst mit schlichten Mitteln.
Als
er die Ausstellungsräume der singuhr-hörgalerie in der entkernten und seit
Jahren in Rekonstruktion befindlichen Parochialkirche zum ersten Mal betrat,
erstaunte er über die vollständige Abwesenheit von Prunk und Zierde in dieser,
wie es heißt, wichtigsten Barockkirche Berlins. Ihn faszinierte die ästhetische
Offenheit dieses brüchigen Innenraums. Die an den Wänden emporlaufenden
projizierten Wasserperlen (das portugiesische Wort barocco bezeichnet die
unregelmäßige Oberfläche von Naturperlen) zaubern eine geisterhafte Erinnerung
an verlorenen Reichtum - und sensibilisieren den Blick für die kleinen
Badezimmerzierden, welche die notdürftigen Reparaturen in der Kirche
hinterlassen haben.
Und
indem man sich auf den Kern des Werkes, die in die Glaskuppeln eingeschlossenen
Klänge einer fernen Außenwelt, fröhliches Kindergeschrei, eine gepfiffene
Melodie und Wortfetzen besinnt, die dann optisch ins himmelwärts sich
streckende Turminnere ausstrahlen, erschließt sich einem ganz unvermittelt die
poetische Idee des Künstlers und seine Liebe zu den bescheidenen Schönheiten
des Alltäglichen.
Matthias
R.Entreß