1998

JUNGE UND ALTE MEISTER DER GERÄUSCHMUSIK

- »musique concrète« bei den Inventionen '98

Pierre Henry und François Bayle zu Gast in Berlin

 

Zum 50.Jubiläum der »musique concrète« richtet sich der Blick auf ein vielverzweigtes und unerwartet aktuelles Phänomen der Musikgeschichte. Während die Entwicklung dieser 1948 von dem genialen Ingenieur und Komponisten Pierre Schaeffer (1910-94) begründeten Musikgattung in Frankreich von den Musikfreunden kontinuierlich wahrgenommen wurde, haben sich ihre Ausläufer in Deutschland still und heimlich in die Radiokunst und in Form von vorproduzierten Zuspielbändern in die Neue Musik integriert. Daß »musique concrète« durchaus als eigenständige Kunstform mit ganz eigenen Bedingungen gelten kann und welchen Stellenwert sie als Konzertereignis hat, sollen die Konzerte, ein Symposium und eine Ausstellung zeigen, die im Rahmen der "Inventionen '98" vom 23.- 26.9. stattfinden.

Was ist »musique concrète«? Grob gesagt: Musik aus konkreten Geräuschen, wie sie uns im Alltag begegnen. Diese Geräusche werden, mit elektroakustischen Mitteln verfügbar gemacht, anstelle melodisch-harmonischen Materials künstlerisch verarbeitet, musikalisch im Sinne einer oft filmischen Dramaturgie.

Konkrete Klänge sind Zitate akustischer Räume und ihre Collagierung erfordert räumliche Darstellung und Wahrnehmung: nach dem Vorbild des 1973 von François Bayle erfundenen »Acousmoniums« wird das Elektronische Studio der TU ein ca. 40-gliedriges Lautsprecherorchester in der Parochialkirche installieren, [das sämtliche Stereo-, Quadro-, Dolby-Surround-Kinoanlagen in den Schatten stellt].

Im historischen Hörspielstudio T5 im SFB (23.9), wo auch eine Ausstellung zur Geschichte der »musique concrète« gezeigt wird, und in der Parochialkirche werden den Klassikern des Genres die Antworten der jungen Komponistengeneration gegenübergestellt. Die meisten der Komponisten nehmen die »acousmatische Projektion«, also die Registrierung dieser riesigen Lautsprecherorgel, selber vor. Insbesondere kann man zwei Urgesteinen der konkreten Musik bei der Arbeit zuschauen, Pierre Henry (geb.1927), der am 24.10 seine '93 entstandene Vertonung von Dziga Vertovs Stummfilm »L'homme à la caméra« (1929) vorführt, und François Bayle (geb.1932), dem langjährigen Leiter der von Schaeffer gegründeten GRM (Forschungsgruppe Musik).

Und zufällig steht im Glockenturm der Kirche das Werk von documenta-Künstler Carsten Nicolai, ein Tisch mit vier Plattentellern, an denen sich die Besucher ihre eigene konkrete Musik mixen können - so, wie es vor 50 Jahren begonnen hatte.

 

Matthias R.Entreß

 

Ausstellung »Acousmatic Visions« im Hörspielstudio T5 im Haus des Rundfunks, Masurenallee tgl.11-18 Uhr, bis 2.10. Eröffnung am 23.9., 18 Uhr. Konzert ab 20 Uhr

Konzerte in der Parochialkirche, Klosterstr.67, Do. 20.30, Fr. 19 Uhr, Sa. 20 Uhr

Symposium Fr. und Sa. Parochial-Gemeindesaal jew. ab 10 Uhr. Infos unter Tel.2022 0828 oder http://www.kgw.tu-berlin.de/inventionen