7.3.03 Exzentrische Jungfer, verrückter König

Zwei Opernessays übers Irresein von Peter Maxwell Davies im Hebbel-Theater  

Engländer haben wohl schon wegen ihres originellen Humors ein fortgeschrittenes Verständnis für ausgeglittene Geisteszustände, und bei dem 1934 geborenen Komponisten Peter Maxwell Davies hat sich diese Sympathie in mindestens zwei kleinen Opern auf Texte von Randolph Stow niedergeschlagen: "Miss Donnithornes Grille" (1974) und "Acht Gesänge für einen verrückten König" (1969). In der neuen Produktion der Zeitgenössischen Oper Berlin, die am Donnerstag im Hebbel Theater Premiere hatte, wurden beide Stücke in einem Bühnenbild verkuppelt. Das Thema Verrücktheit und dieselbe 6-köpfige Mini-Orchesterbesetzung mit Dirigent Rüdiger Bohn scheint das zwar zu rechtfertigen, die ungleichen inneren Strukturen und musikalisch-szenischen Anforderungen jedoch nicht. In der Rolle der Miss Donnithorne, der vor 30 Jahren sitzengelassenen Braut, seither im Streik gegen die Gesellschaft und in selbstgewählter Klausur, erweist sich die hier schon mehrfach bewährte Márta Rózsa als Spezialistin für weibliche Psychopathologie. Zum stimmzehrenden inneren Monolog gesellt sich bei ihrem Tanz auf der unberührten Festtafel eine überaus wendige, mit Jaulen, Bocksprüngen und ernster Komik übervolle Begleitmusik, Klangbilder eines überspannten Geistes. Wird da das ausgreifende Gesten- und Mienenspiel der Rózsa nicht zuviel? Statt ihre Poesie des Zurückgewiesenseins in ihre Umgebung zu projizieren, wird sie zum grellen Glühdraht ihrer Wut; das erstaunt, aber es ermüdet auch etwas. Ganz anders das Monodram vom verrückten König. Wie Miss Donnithorne ist auch dieser an eine historische Figur angelehnt: König Georg III. von England (1738-1820), jener Pechvogel, der die amerikanischen Kolonien verlor und seine letzten Jahrzehnte in wirren Selbstgesprächen verbrachte. In diesem früher geschriebenen Stück ist der Text weitaus konkreter, die Musik springt parodistisch zwischen Tudorstil und Ragtime umher. Tom Sol als König im Ornat aus Teer und Federn macht die Schimären seines Irreseins geradezu greifbar, es ist klar, an wen er sich wendet, in welchen Szenen seiner Erinnerung er agiert. Regisseurin Sabrina Hölzer, die sich im Verein mit der Bühnenbildnerin Mirella Weingarten in früheren modellhaften Inszenierungen (z.B. in der unvergesslichen "Tödlichen Blume" von Salvatore Sciarrino im vergangenen Oktober) einer genialischen Reduktion befleißigte, will diesmal mehr als nötig zeigen. Statt den König schon durch Miss Donnithornes Saal tapern und diese als Traumbild der geliebten Königin im zweiten Teil erscheinen zu lassen und also die Einsamkeit der beiden Figuren künstlich zu befrieden, hätte die Regie besser die Unterschiede der beiden interessanten, stilwitzig und unprätentiös komponierten Opern deutlicher herausarbeiten sollen. Den auch so höchst unterhaltsamen darstellerisch-musikalischen Leistungen des gesamten Ensembles hätte das gewiss keinen Abbruch getan.

Matthias R. Entreß