16.9.02  

Arsenal, Forum, Freunde  

Ulrich Gregor wird 70      

Eine Szene im Berlinale-Trubel 2001: Der junge israelische Filmemacher Ra'anan Alexandrowicz wartet auf Ulrich Gregor, damals noch Leiter des Internationalen Forums des Jungen Films, der Avantgarde-Sektion der Berlinale. Ra'anans Herz quillt über vor Dankbarkeit dafür, dass ihm die Gelegenheit gegeben wurde, seinen politisch brisanten Dokumentarfilm bei der Berlinale zeigen zu können. Endlich segelt der Chef ins Haus. Ra'anan gelingt es, Gregor kurz aufzuhalten und sich vorzustellen. Ein warmer Händedruck und fort ist er, beim nächsten Interview, und während Ra'anan konsterniert zurückbleibt, redet Gregor vielleicht bereits über und für dessen Film. Heute wird Ulrich Gregor 70, aber trotz großer Party wird es wohl schwer sein, seine Aufmerksamkeit auf sich selbst zu lenken.  

Für Journalisten kann es schwerlich einen besseren Partner als Gregor geben. In seinen Antworten fügen sich das Gesamte und das Detail zu einem in Urteil und Begründung vollkommen klaren Bild. Mit seiner Klarheit und Neugier ist er auch dem Publikum des Forums wohlbekannt, wo es ihm in den Gesprächen nach der Vorführung stets gelingt, die Brücke zum kreativen Impuls des Regisseurs zu schlagen. Nach nunmehr 32 Jahren als Leiter des Arsenals, des ersten nichtgewerblichen Kinos Deutschlands, und ebenso langer Zeit in der Leitung des Internationalen Forums des Jungen Films, dessen Chefsessel er vor einem Jahr an Christoph Terhechte abgetreten hat, stehen Ulrich Gregor und seine Frau Erika, mit der er, wenn schon, den Ruhm geteilt wissen möchte, in der Welt des Films einzig da. Diese beiden sind die großen Möglich-Macher und Ermutiger des avancierten Spiel- und Dokumentarfilms, denn ohne die Wahl ins Programm des Forums wäre manches schwierige Projekt halbfertig in der Schublade verdorben.  

Aufgewachsen in einem musikalischen Hamburger Elternhaus - beide Eltern waren Organisten - begann Ulrich Gregors Laufbahn als Filmtheoretiker bereits mit 25. Dieser Tätigkeit ist er auch in all den Jahren des Organisierens von Festivals und Filmprogrammen treu geblieben.   "Der Film", sagt Gregor, darauf angesprochen, dass die von ihm bevorzugten Filme meist am großen Kinopublikum vorbeigehen, "ist eine Kunst und eine Industrie, aber auch ein Medium zur Erforschung der Wirklichkeit und kann neue Seiten der Realität zum Vorschein bringen. Die Legitimität von filmischer Arbeit würde ich nicht an der Breitenresonanz festmachen. Es gibt durchaus Fälle in der Filmgeschichte, in denen anfangs wenig beachtete Filme eine epochale Wirkung entfaltet haben."  

Konservative Vorbehalte gegen neue Entwicklungen wie z.B. Digitalfilme sind bei Gregor auch in seinem hohen Alter nicht auszumachen. "Solche Entwicklungen gehen immer weiter, es kommen immer neue Blickwinkel und auch neue Horizonte!" Neben der künstlerischen Emanzipation war es immer wichtig, auch andere Sprachen als nur Deutsch und Englisch hören zu lassen. "Wir arbeiten auch daran, die Verschiedenartigkeit, den großen Horizont in der Kultur noch weiterhin zu repräsentieren. Man muss natürlich auch ein bisschen auf die Neugier des Publikums vertrauen." Gregor und sein Team haben damit maßgeblich dazu beigetragen, den Prozess der Globalisierung zu begreifen und gelehrt, die fremden Kulturen und Lebensumstände zu respektieren. Und was würde er sich von der Politik, abgesehen vom Geld, zum Geburtstag wünschen? "Ich würde mir wünschen, dass unsere filmhistorische und -kulturelle Bildungsarbeit kein Luxus ist, sondern als zentrale und wichtige Aufgabe angesehen wird."   Matthias R. Entreß