15.8.01  

Ohne die Kraft zur Erneuerung  

Das Moskauer "Studio Neue Musik" zu Gast bei young.euro.classic      

Mit dem Gastspiel des Moskauer "Ensemble Studio Neue Musik" bei young.euro.classic am Dienstag im Konzerthaus wurde das höchst unvollständige Bild von der gegenwärtigen russischen Musikkultur, wie es vor über einer Woche vom Russischen Studenten-Orchester vermittelt worden war, ergänzt und teilweise korrigiert. Das 1993 gegründete Kammerorchester ist nicht dem Massengeschmack verpflichtet, sondern Sprachrohr der russischen Avantgarde, von den zwanziger Jahren bis heute. Auf dem Programm standen neue Werke von drei Komponisten der mittleren Generation der Musik von drei Jüngeren gegenüber, die maßgeblich von Perestroika und dem Abschied vom Kommunismus geprägt sind. Jedoch: Keine Spur von Vatermord oder radikalem Aufbruch. Das Stück des 60-jährigen Igor Kefalidis "Nach dem Klang ist vor dem Klang" war mit seinen elektronischen Einsprüchen gegen das Ensemble mit selbstspielendem Klavier fast "moderner" als die "Reime" des 1976 geborenen Alexej Sümak. Letzteres war aber das glänzendste Beispiel für den neuen "russischen Stil": Mit starker Beweglichkeit des Klangs, einer fließenden Emotionalität und zwanglosen Übergängen zwischen gegensätzlichen Passagen atmete es die Freiheit des Individuums.  

Der Abend als ganzer jedoch stand unter der heimlichen Schirmherrschaft Ernst Jandls, des österreichischen Sprachspielers des Absurden. Nicht nur, weil die "Patin" des Konzerts, Landwirtschaftsministerin Künast in ihrer erfrischend unprätenziösen Ansprache Jandls Gedicht "Das fanatische Orchester" vorgetragen hatte oder Vladimir Tarnopolskis "Szenen aus dem wirklichen Leben" vier mehr oder weniger verzweifelt in sich kreisende Texte des Dichters zugrundelagen. Jandls Sinn für die Unangreifbarkeit grotesker Zustände ist zutiefst "russisch". Auf Erkenntnis folgt dort Lachen, Weinen oder Achselzucken, aber nicht Veränderung. Den moralischen Aufruhr etwa einer Galina Ustvolskaja oder unabhängige Formkraft suchte man vergeblich. Wie Evgenij Seleznjew in seiner sanften "Elegie" nach A.Fet (mit der sich sorgfältig ins Ensemble integrierenden Sopranistin Svetiana Savenko) verließen sie sich auf Textvorlagen oder die eine zugrundegelegte Idee. Mit Bedauern muss auch festgestellt werden, dass die intensive Klangerkundung, die einige Werke forderten (und die wir beim SoNoR-Ensemble aus Aserbaidschan so bewundert hatten) beim "Studio" unter Igor Dronov ausblieb.   

Matthias R. Entreß      

Nächstes young.euro.classic-Konzert: String Orchestra of the Reykjavik College of Music, Freitag, 17.8., 20 Uhr. Karten: 308 785 685