7.11.01
 
Odyssee im Klangraum
 
Hoyer/Stelzenbachs Multimedia-Komposition "A Taste of 2001" in der Kulturbrauerei
 
 
 
2001 ist jetzt, aber die Odyssee findet nicht im Weltraum statt, sondern in unserer Wahrnehmung der Gegenwart. Wie fühlt es sich an, in einem Jahr zu leben, das der Mythos einer Zukunftserwartung ist? Der Musik-Theater-Installation "A Taste of 2001" von Ralf Hoyer und Susanne Stelzenbach liegt zwar der berühmte Film von Stanley Kubrick zugrunde, jedoch, so möchte man sagen, in der gleichen nah-fernen Weise, wie die Vision des Films der derzeitigen Wirklichkeit ähnelt.
 
Die beiden Komponisten haben seit 1985 gemeinsam an der Idee eines "klingenden Raums" (Hoyer) gearbeitet. Als Pioniere einer aufgebrochenen künstlerischen Wahrnehmung saßen sie schon in der Musikszene der DDR so ziemlich zwischen allen Stühlen. Heute reicht ihr Spektrum von Performances bis zur reinen Klanginstallation. Für ihr neues großes Werk, das heute mit dem Kammerensemble Neue Musik in der Kulturbrauerei Premiere hat, analysierten sie die Zeit-, Schnitt- und Motivstruktur des Films und legten über das so gefundene komplexe Schema eine riesige multimediale Komposition für Instrumentalisten, Sänger, Klangobjekte und Video.
 
"Irgendwann erinnerten wir uns daran, dass bald das Jahr 2001 kommt", erklärt Susanne Stelzenbach, "und fanden es interessant, den dreißig Jahre alten Film mit dem Gefühl von heute zu koppeln."
 
Dieses Projekt ist ein neues Kapitel in der noch längeren Historie des Sujets, das nicht nur inhaltlich Zeiten miteinander verknüpft. 1948 bereits veröffentlichte der Autor Arthur C. Clarke seine Kurzgeschichte "Der Wächter", die Kubrick zwei Jahrzehnte später zu seinem Film anregte. Clarkes Roman "2001" wiederum entstand erst nach dem Film. Hoyer und Stelzenbach fanden es auf der Hand liegend, Clarke, der 84-jährig auf Sri Lanka (beinahe ein ferner Planet) lebt, in ihre sehr abstrakte Version des Werks einzubinden. So kam es, dass er, für einige Passagen aus seiner frühen Erzählung, als Stimme vom Band anwesend sein wird. Und noch andere Fenster öffnen sich nach draußen: Bilder des Raumschiffs Erde, live vom Satelliten, sowie vom heutigen Treiben dort setzen sich in Kontrast zur stark klang- und obertonbewussten Musik.
 
Das Stück erzählt nicht den Film nach. Die gesungenen Texte sind Fragmente aus astrophysikalischen und anderen naturwissenschaftlichen Essays, die den heutigen Wissensstand reflektieren. Aber immer bleibt der Film, atomisiert und als Schwerkraftzentrum, präsent. Die fünf flachen Klangobjekte, die rapid bewegte Geräusche in die unverstärkte Instrumentalmusik einfügen, durchziehen den Saal, als wären sie ein Segment der kreiselnden Raumstation im Film. Ein Welttheater, ein Gesamtkunstwerk, eine faszinierende Erfahrung steht bevor.
 
 
 
Matthias R. Entreß
 
 
 
Kesselhaus der Kulturbrauerei, Knaackstr.97, Prenzlauer Berg, Karten: 443150. Heute bis 10.11., jew. 20 Uhr
 
infos: www.hoyerstelzenbach.de