4.10.01
Von der Ungreifbarkeit der Schönheit
Das BSO unter Peter Hirsch mit Werken von Georg Friedrich Haas und
Mozart
Das BSO hatte am Tag der Deutschen Einheit zum Festkonzert geladen - und
konfrontierte das Publikum mit einer musikalischen Ästhetik, die von der
Unerreichbarkeit der Utopie sprach. Mit zwei Werken im Mittelpunkt: der
österreichische Komponist Georg Friedrich Haas, geboren 1953. Er
gehört zu jenen Musikern, die über die Erforschung der
Mikrotonalität zu einem vertieften Bewusstsein von Klang und Harmonie
gefunden haben. Freilich übertrifft und verfehlt seine Idee von Harmonie
gleichzeitig die konventionelle Vorstellung davon, und die Brücke, die er
in seinem Streicherstück "...so daß ich's hernach...wie ein
schönes Bild...im Geist übersehe..." zu Mozart schlug, war vielen
nicht geheuer. Hoch abstrahiert stellte es den Weg von einer Vielzahl von
Fragmenten der Eingebung zum alles in eins fassenden musikalischen Moment dar.
Scharren, Heulen, Huschen tasteten sich zur himmlischen Akkordfolge einer
Violinsonate des großen Salzburgers vor, dem Inbegriff musikalischer
Schönheit.
Zwei andere Auffassungen von Mozart trafen danach in dessen
A-Dur-Klavierkonzert KV 488 aufeinander: Während Dirigent Peter Hirsch das
Orchester flott und nüchtern, mit mancher Aufmerksamkeit fürs Detail
durch die an sich unproblematische Partitur lenkte, verschleierte und
romantisierte der Solist Filippo Gamba die anmutige Gestik mit allzuviel Pedal.
Die "Schönheit" blieb oberflächlich - so leicht ist sie also
tatsächlich nicht zu haben.
Nach der Pause stand Georg Friedrich Haas' notengetreue, während
seines Berliner DAAD-Stipendiats 2000 entstandene Orchesterbearbeitung von
Schuberts unvollendeter C-Dur-Klaviersonate DV 840 auf dem Programm. In diesem
durchweg einthematischen Stück erweist sich Schubert als Obertonharmoniker,
dem es nicht um die Dramatik der thematischen Durchführung, sondern um die
wundersamen Vorgänge in den oberen Sphären des Klanges geht. Doch
seinem heutigen Wahlverwandten Haas genügte das Klavier nicht. Seine
üppige Instrumentation (u.a. mit Akkordeon, Saxofonen, reichem Schlagwerk)
übersetzte die Sphärenharmonien Schuberts in recht irdische
Farbigkeit, am schönsten in dem manisch kreisenden und dann mittendrin
zusammenbrechendem Finale. Was blieb, und zwar als Qualität, nicht etwa als
Mangel der Neufassung, war eine schmerzliche Sehnsucht nach dem, was man zwar
wissen, aber nicht haben kann: Scheitern und Nicht-Vollendung als kritische
Seins-Erkenntnis, kein Triumph zum Fest der Einheit.
Matthias R. Entreß