5.9.01  

Ein Triumphzug für die Freiheit des Geistes   Das Duo Sabat/Clarke stellte Artur Schnabel ins Licht der Gegenwart      

Die Konzertreihe in der Akademie der Künste um das weitgehend unbekannte kompositorische Werk des genialen Pianisten Artur Schnabel (1882-1951) nähert sich dem Problem mit weitem Atem und auf vielen Wegen. Der Geiger Marc Sabat, selber Komponist, und der Pianist Stephen Clarke, beide aus Ontario/Kanada gebürtig, ein Duo für Neue Musik seit 1996, warfen am Dienstag das Licht der Gegenwart und des Experiments auf die Musik dieses großen Außenseiters der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts. (Bedauerlich nur, dass die krankheitsbedingte Absage des eher klassisch orientierten Geigers Christian Tetzlaff am folgenden Abend den direkten Vergleich nicht zuließ.)  

Im Zentrum des Programms stand Schnabels Sonate für Violine und Klavier aus dem Jahre 1935. Schnabel hatte bis dahin "sein" Instrument Klavier aus seiner Kammermusik herausgehalten. In seiner Duo-Sonate zwingt es dem Geigenpart eine rhythmische Direktheit auf, die den improvisatorischen Fluss, der seine früheren Werke kennzeichnete, zunächst einzuschränken schien. Bei seiner harschen frei atonalen Melodik verzichtet Schnabel auf die klangliche Logik der Schönbergschen Reihentechnik. Die Expressivität bleibt gleichwohl abstrakt. Was man als Krausheit abtun könnte, ist in Wahrheit die rückhaltlose Auseinandersetzung mit einer kompliziert gewordenen Lebenssituation - Schnabel hatte 1933 Nazi-Deutschland auf Nimmerwiedersehen den Rücken gekehrt. Von Lamento jedoch fehlt jede Spur, und da ist auch das kühle Temperament des Geigers Marc Sabat vor. Bei aller Entschiedenheit seiner Phrasierung - und seiner traumhaft sicheren Intonation - lässt er die Überlegenheit des denkenden Künstlers nie untergehen.  

Eingebettet war dieses Werk in einen Bogen von West nach Ost, von Morton Feldmans zartem "Spring of Chosroes" bis zu Galina Ustvolskajas brachialem "Duett" (1964). Gemeinsam war als Bezug auf Schnabel allen Kompositionen ein Höchstmaß von Subjektivität und Freiheit von Methodik. Am radikalsten war dieses Beharren wohl in Walter Zimmermanns "Die Sorge geht über den Fluss" (2000) für Solovioline. Was zu Schnabels Zeiten die "Atonalität" war, ist bei Zimmermanns tagebuchartigen Impromptus die konsequent mikrotonal erweiterte Harmonik. Hier wie da die Herausforderung an den Hörer, vormals "falsche" Töne als "richtige" Musik zu begreifen. Und es sind Virtuosen vom Schlage Marc Sabats, die diesen Fortschritt erst sinnlich erfahrbar und plausibel machen. Die Stunde von Stephen Clarke (und des wunderbaren neuen Bechsteinflügels Modell D) kam mit der donnernden Klang-Fantasie "Hispania", die der große Mystiker der Neuen Musik, Giacinto Scelsi, bereits 1939 erimprovisiert hatte. Ein großer Abend, ein Triumphzug für die Freiheit des Geistes.  

Matthias R. Entreß